Physiknobelpreis 1902: Hendrik Lorentz — Pieter Zeeman

Physiknobelpreis 1902: Hendrik Lorentz — Pieter Zeeman
Physiknobelpreis 1902: Hendrik Lorentz — Pieter Zeeman
 
Die Niederländer wurden für ihre außergewöhnlichen Verdienste bei der Erforschung des Einflusses des Magnetismus auf Strahlungserscheinungen ausgezeichnet.
 
 Biografien
 
Hendrik Antoon Lorentz, * Arnheim (Niederlande) 18. 7. 1853, ✝ Haarlem 4. 2. 1928; 1878 Professor für theoretische Physik an der Universität Leiden, 1923 zusätzlich Leiter des Teylor-Instituts in Haarlem und Schriftführer der niederländischen Wissenschaftsgesellschaft.
 
Pieter Zeeman, * Zonnemaire auf der Insel Schouwen (Niederlande) 25. 5. 1865, ✝ Amsterdam 9. 10. 1943; 1890 Assistent von Lorentz an der Universität Leiden, 1893 am Kohlrausch-Institut Straßburg, 1894 Privatdozent in Leiden, 1897 Dozent an der Universität Amsterdam, 1908 Professor an der Universität Amsterdam.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Am Ausgang des 19. Jahrhunderts glaubte man, dass die Gestirne in einem Äther ruhen, der den absoluten Raum ausfüllt und der für die Ausbreitung des Lichts notwendig sei. In Analogie zu den Wasser- und Schallwellen, die Wasser beziehungsweise Luft als ihren Träger voraussetzen, sollte der Äther die Lichtwellen tragen. Die Theorie des englischen Physikers James Maxwell, nach der die elektromagnetische Strahlung durch die Schwingung elektrischer Ladungen entsteht, hatte sich bereits durchgesetzt, obwohl die Natur dieser Ladungen nicht bekannt war.
 
Der englische Gelehrte Michael Faraday hatte entdeckt, dass ein elektrischer Strom der durch eine Drahtspule fließt, einen magnetischen Effekt hervorruft. Maxwell folgerte daraus, dass Licht eine sich ausbreitende elektromagnetische Schwingung sein müsse. Der deutsche Physiker Heinrich Hertz konnte die Wesensgleichheit von elektromagnetischer Oszillation und Lichtschwingung nachweisen.
 
Hendrik Lorentz führte auf diesem Stand der Erkenntnis 1891 das Elektronenkonzept ein. Nach seiner Vorstellung mussten die Atome der Materie aus geladenen Teilchen bestehen, die durch ihre Schwingungen Licht erzeugen. Das war ein mutiger Schritt, denn das Elektron wurde erst 1897 von dem englischen Physiker Joseph Thomson (Nobelpreis 1906) nachgewiesen. Sollte sich seine Vorstellung beweisen lassen, müsste ein Magnetfeld auf die geladenen Teilchen einwirken können. Deren Schwingungsfrequenz sollte sich also verändern lassen und damit auch die Wellenlänge des emittierten Lichts.
 
 Die Elektronen, das Licht und der Äther
 
Der Nachweis dieser gewagten elektromagnetischen Lichttheorie gelang seinem Schüler Pieter Zeeman. 1896 untersuchte dieser die Spektrallinien des Natriums. Er verbrannte das helle Metall zwischen zwei starken Magneten und bemerkte eine Aufweitung der gelben D-Linien des Natriumspektrums. In späteren Untersuchungen konnte er 15 Komponenten im Spektrum definieren. Die Analyse der Spektren des Zinks und des Cadmiums ergab, dass jede Linie unter dem Einfluss des Magnetfelds drei Linien, das so genannte Zeeman-Triplett, bildeten. Lorentz deutete den Zeeman-Effekt als Licht, das von Elektronen emittiert wird, die sich frei in den Atomen bewegen. Für diese Entdeckung erhielten die beiden Forscher den Nobelpreis. Zeeman trat danach nicht mehr mit herausragenden Forschungsergebnissen in Erscheinung.
 
Für Lorentz dagegen markiert die Auszeichnung eher den Beginn überragender Forschungsleistungen. Er hielt noch lange an der Vorstellung des Äthers fest. Die Bewegung der Erde durch den Äther sollte zu einer Art Ätherwind führen, der das Licht beeinflusst. Doch der amerikanische Physiker Albert Michelson (Nobelpreis 1907) wies 1881 nach, dass die Lichtgeschwindigkeit beim Übergang vom sich gleichförmig bewegenden Bezugssystem Erde in das stationäre Bezugssystem Äther beziehungsweise absoluter Raum konstant bleibt.
 
Um das enttäuschende Ergebnis des Michelson-Experiments zu erklären, führte Lorentz 1892 die Lorentz- oder Längenkontraktion ein. Nach dieser Hypothese verkürzen sich bewegte Körper nahe der Lichtgeschwindigkeit in der Bewegungsrichtung. Damit versuchte er das Postulat der klassischen Physik, dass für alle Beobachter, unabhängig von deren eigener Bewegung, die Lichtgeschwindigkeit konstant bleibt, zu erhalten.
 
1895 führte er die Lorentz-Kraft in die Elektrodynamik ein. Die Lorentz-Kraft wirkt auf bewegte Ladungsträger senkrecht zur Geschwindigkeit und zur Richtung des Magnetfelds. Je stärker das Magnetfeld und je größer die elektrische Ladung und die Geschwindigkeit der Teilchen, umso größer ist die Lorentz-Kraft. In einem Leiter erfahren die Elektronen im Magnetfeld dieselbe Kraftwirkung und werden aus dem Magnetfeld gedrückt. Die Lorentz-Kraft ist eine der wenigen relativistischen Erscheinungen, die eine bedeutende Rolle in der technischen Praxis spielen.
 
Zur Beschreibung der Bewegung eines Körpers ist ein Bezugssystem beziehungsweise der Standort eines Beobachters erforderlich. Nach der klassischen oder Newton'schen Mechanik bewegen sich zwei Beobachter zueinander relativ geradlinig und gleichförmig. Die Bewegung der Körper werden mit Galilei-Transformationen mathematisch beschrieben. Es wird dabei von absolut ruhenden Bezugssystemen ausgegangen. Da nun Michelson gezeigt hatte, dass die Lichtgeschwindigkeit in allen Systemen, also auf der sich bewegenden Erde und auch im ruhenden All beziehungsweise Äther, gleich groß ist, ergab sich ein Widerspruch.
 
 Von der klassischen Physik zur Relativitätstheorie
 
Um an der Gültigkeit der Naturgesetze beim Übergang in ein anderes Bezugssystem festzuhalten, entwickelte Lorentz 1904 die Lorentz-Transformationen für die Ausbreitung elektromagnetischer Wellen. Das sind mathematische Gleichungen, die beschreiben, wie sich die Raum- und Zeitkoordinaten zweier sich bewegender Systeme bei einer konstanten Geschwindigkeit relativ zueinander verhalten. Die Lorentz-Transformationen dienen der Beschreibung von Hochgeschwindigkeitsphänomenen wie der Lichtgeschwindigkeit. Die Galileitransformationen erscheinen nur noch als Grenzfall für niedrige Geschwindigkeiten der allgemein gültigen Lorentz-Transformationen.
 
Aus den Transformationsformeln von Lorentz ergibt sich, dass der Zeitablauf in gegeneinander bewegten Bezugssystemen verschieden ist. Albert Einstein erkannte, dass dies mehr als ein formaler mathematischer Kunstgriff zur Erhaltung der klassischen physikalischen Gesetze ist. Lorentz lieferte Einstein die Erkenntnis, dass eine absolute Zeitmessung unmöglich ist, da seine Formeln besagen, dass Raum und Zeit nicht absolut sind. Der Mathematiker Hermann Minkowski konnte daraufhin 1908 Raum und Zeit zu einem vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum zusammenfassen.
 
Mit Lorentz erreichte die klassische Elektrodynamik ihren Höhepunkt und Abschluss. Trotz des stärker werdenden Widerspruchs hielt er lange am Ätherkonzept fest. Er sah die Materie als stofflich an und den Äther als absoluten Raum, als das wahre Bezugssystem aller physikalische Vorgänge und Träger der elektromagnetischen Phänomene. Doch ehe er diese Theorie vollenden konnte, machte Einstein ihr ein Ende. Lorentz selbst hatte daran mitgewirkt. Er zögerte lange, der relativistischen Physik zu folgen. Die Vorstellung von Lichtquanten »kommt mir höchst unwahrscheinlich vor«, meinte er noch 1909 in einem Brief an den Physiker Wilhelm Wien (Nobelpreis 1911).
 
U. Schulte

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Liste der Nobelpreisträger für Physik — Der Nobelpreis für Physik wird seit 1901 jährlich vergeben und ist seit 2001 mit 10 Mio. Schwedischen Kronen dotiert. Die Auswahl der Laureaten unterliegt der Verantwortung der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften. Der Stifter des… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”